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Welche Bedeutung haben DDIs im modernen ART Management?

Mai 2, 2022

Neuartige ARVs haben ein immer geringeres Risiko für die Entwicklung von DDIs, sind besser verträglich und sind sehr wirksam. Die Verringerung von DDIs bleibt jedoch ein wichtiger Bestandteil des ART Managements und erfordert einen breiten Diskurs unter PLWH sowie Gesundheitsexperten (u. a. Datenwissenschaft, Arzneimittelentwicklung, Pflege). Bei älteren PLWH ist Polypharmazie häufig, wodurch das Risiko für die Entwicklung von DDIs erhöht ist. ARVs und Co-Medikationen haben oftmals einen Einfluss auf deren Wirksamkeit bis hin zu toxischen Auswirkungen. In ihrem Review gehen Salin Nhean, Alice Tseng und David Back der Frage nach wie gross die Relevanz ist von DDIs bei modernen antiretroviralen Therapien. 1

In Tabelle 1 sind DDIs zwischen ARVs und Co-Medikation aufgelistet. Dabei werden Faktoren wie Toxizität, Wirksamkeit, das Management und ARV Alternativen als Auswertekriterien gelistet.1

Tabelle 1.  Beispiele für DDIs zwischen ARV und Medikamenten, die zu erhöhter Toxizität oder verminderter Wirksamkeit führen (basierend auf Nhean S. et al.)1

Co-MedikationErhöhte ToxizitätVerringerte WirksamkeitManagementNicht interagierende ARVs
StatineRisiko für Statin
Nebenwirkungen (z. B. Myalgie,
Rhabdomyolyse,
Hepatotoxizität) mit boosted ARVs
Risiko für reduzierte Statin Wirksamkeit durch CYP3A4- induzierende NNRTIs sowie boosted ARVsSimvastatin/Lovastatin und boosted ARVs sind kontraindiziert. Atorvastatin max. 20 mg/Tag oder Rosuvastatin 10 mg/Tag mit boosted ARVs. 
Fostemsavir mit der niedrigsten Statindosis verwenden.
Unboosted INSTIs, NRTIs, RPV, DOR
AntikoagulantienBlutungsrisiko mit Rivaroxaban und boosted ARVsGerinnungsrisiko mit Rivaroxaban und CYP3A4-induzierend NNRTIsRivaroxaban nicht empfohlen mit starken CYP3A4- und P-gb Inhibitoren. 
Umstieg auf alternative Antikoagulantien empfohlen.
Unboosted INSTIs, NRTIs, RPV, DOR
Blutungsrisiko mit Apixaban und boosted ARVsGerinnungsrisiko mit Apixaban und CYP3A4-induzierend NNRTIsEinsatz von Apixaban vermeiden bzw. reduzieren in Kombination mit starken CYP3A4- und P-gb Inhibitoren
Blutungsrisiko mit Dabigatran und boosted ARVs, vermehrt mit COBI- als RTV-boosted ARVsDabigatran-Dosierung mit P-gb Inhibitoren abhängig von Indikation – und Nierenfunktion
Blutungsrisiko mit Warfarin und boosted ARVs, vermehrt mit Agenten ohne CYP2C9-Induktionseffekte (u.a. COBI)Gerinnungsrisiko mit Warfarin und ARVs mit CYP2C9-Induktionseffekte (z. B. RTV)Monitoring von INR bei der Verwendung von boosted ARVs
Thrombozyten AggregationshemmerRisiko für reduzierte Clopidogrel-Wirksamkeit mit boosted ARVs und weiteren CYP2C19-Inhibitoren (u.a. ETR)Umstieg zu ARVs mit geringerem DDI-Potential empfohlen.
Bei der Verwendung von boosted ARVs oder CYP2C19-inhibierende NNRTIs (u.a. ETR) sollte Prasugrel berücksichtigt werden
Unboosted INSTIs, NRTIs, RPV, DOR
Blutungsrisiko mit Ticagrelor und boosted ARVsRisiko für reduzierte Ticagrelor-Wirksamkeit mit CYP3A4-induzierenden NNRTIsUmstieg zu ARVs mit geringerem DDI-Potenzial empfohlen.
Bei der Verwendung von boosted ARVs oder CYP3A4-inhibierende NNRTIs sollte Prasugrel berücksichtigt werden.
Unboosted INSTIs, NRTIs, RPV, DOR
Onkololytische  ArzneimittelRisiko für onkolytische Toxizität mit boosted ARVsRisiko für reduzierte Wirksamkeit von ART (u.a. Enzalutamid) und/oder onkolytische Wirksamkeit (CYP3A4- induzierenden NNRTIs)Umstieg zu ARVs mit geringerem DDI-Potential sowie der Einsatz eines TDM empfohlen [45].
Kooperation zwischen Onkologen, HIV-Spezialisten, Apotheker, etc.
Unboosted INSTIs, NRTIs, RPV, DOR
Transplantation Medikamente. Risiko für erhöhte Expositionen und Toxizität von Tacrolimus, Cyclosporin, Sirolimus oder Prednison mit boosted ARVsRisiko für reduzierte Wirksamkeit von Tacrolimus, Cyclosporin, Sirolimus oder Prednison mit CYP3A4- induzierenden NNRTIsUmstieg zu ARVs mit geringerem DDI-Potenzial empfohlen sowie ein TDM der Transplantations-medikation.
Kooperation zwischen den Transplantations-Spezialisten, HIV-Spezialisten und Apotheker, etc.
Unboosted INSTIs,
NRTIs, RPV, DOR
Enzym induzieren Antikonvulsiva (z. B. Carbamazepin, Phenytoin, Phenobarbital)Risiko für antipileptische Toxizität mit boosted ARVsRisiko für den Verlust der virologischen Wirksamkeit mit ARVs, die CYP3A4 und/oder P-gb Substrate sind oder Anfall mit CYP3A4- induzierenden NNRTIsUmstieg auf ein nicht interagierendes Antiepileptikum (z. B. Levetiracetam).
Wenn Co-administration erforderlich, Überwachungen von Anzeichen/Symptome der antikonvulsiven Toxizität, Anfallsaktivität sowie Verlust der virologischen Wirksamkeit
KortikosteroideRisiko für Cushing-Syndrom und Nebenniereninsuffizienz mit boosted ARVsRisiko für den Verlust der virologischen Wirksamkeit einiger ARVs (u.a. RPV, DOR, BIC) mit DexamethasonBevorzugen Sie sichere Kortikosteroide (u.a. Beclomethason).
Wenn Kortikosteroide erforderlich, Wechsel zu nicht-CYP3A4-inhibierenden ARV.
Wenn ARVs nicht geändert werden kann, Kortikosteroide mit min. Dosis und enges Monitoring von u.a. Cushing-Syndroms 
Keine DDIs zwischen Dexamethason und RAL, DTG oder NRTIs
Komplementäre und alternative MedikamenteVerlust der virologischen Wirksamkeit von INSTIs durch Supplements mit polyvalenten KationenPolyvalente Kationen und INSTIs getrennt verwenden.
Ein sorgfältiger Abgleich der Medikation ist wichtig (u.a. OTCs, alternative Medikamente).

Eine Reduktion von DDIs kann durch (1) gezielten Einsatz von ARVs mit geringerem DDI Potenzial, (2)Umstellung der Co-Medikation, (3) Dosierungsänderung, (4) Einsatz eines therapeutischen Drug-Monitorings, und (5) interdisziplinäre Kooperationen (Medizin, Pflege, Pharmazie) erreicht werden.

Abkürzungen

ART: Antiretrovirale Therapie, ARV: Antiretrovirale Medikamente; BIC: Bictegravir; COBI: Cobicistat; DDI: Drug–Drug Interaction; DOR: Doravirin; DTG: Dolutegravir; ETR: Etravirine; INSTI: Integrase Strand Transfer Inhibitor; (N)NRTI: (Non)-Nucleoside Reverse Transcriptase Inhibitor; PLWH: People Living With HIV; OTC: Over-The-Counter; RAL: Raltegravir; RPV: Rilpivirine; RTV: Ritonavir; TDM: Therapeutic Drug Monitoring.

Referenz

Nhean S. et al. The intersection of drug interactions and adverse reactions in contemporary antiretroviral therapy. Current Opinion in HIV and AIDS. 2021 Nov;16(6):292–302.

Eine Kopie der Studienpublikation kann unter dpoc.switzerland@msd.com angefordert werden.